Freitag, 5. Dezember 2008

Verfassungskonflikt: Großherzog hilft Bündnis von Thron und Altar sterben

Der Großherzog hat sich soeben geweigert, ein vom Parlament beschlossenes Gesetz über die Liberalisierung der Sterbehilfe zu unterschreiben und damit in Kraft zu setzen.
 

Nicht dass dieses Gesetz für jemand außerhalb Luxemburgs von allzu großer Bedeutung wäre. Ein Grenzgänger hat ja immer die Möglichkeit, zu Hause zu bleiben und seine Existenz unter die Kuratel der deutschen HartzIV-Gesetze zu stellen.

Aber in dieser Einzelfrage werden wie in einem Brennglas sämtliche Probleme des Luxemburger Verfassungsstaates, seiner Legitimität und politischen Kohäsion gebündelt. Kommt es doch extrem selten vor, dass 1. die Abgeordnetenkammer von sich aus ein Gesetz einbringt und 2. eine parlamentarische Mehrheit dieses Gesetz gegen die Regierungspartei beschließt. Es steht hier machtpolitisch nicht weniger auf dem Spiel als die Konsistenz des sog. "CSV-Staates".

Nachdem die Regierungspartei dieses Gesetz in der vorliegenden Form nicht verhindern oder entschärfen konnte, musste sie gute Miene zum bösen Spiel machen. Alles an der Rei!, schließlich sei Luxemburg ja eine parlamentarische Demokratie, d.h. die Volksvertreter beschließen laut Verfassung die Gesetze. Doch das Punktum! war zu früh verkündet. In letzter Minute outet sich der Großherzog, sein Gewissen meldet sich unbotmäßigerweise zu Wort, er könne dies Gesetz bei bestem Willen nicht unterschreiben. Welch eine Konjunktur an Gewissen derzeit bei politisch Verantwortlichen! Wenn einem die Argumente ausgehen... Bei einem deutschen Kriegsdienstverweigerer wurden einstmalen Gewissensentscheidungen härter nachgeprüft!

Damit fällt der oberste Staatsrepräsentant Luxemburgs allerdings aus der ihm von der Verfassung vorgegebenen Rolle. Denn danach ist ihm zwar erlaubt, ein Gewissen zu haben und gar eine private Meinung; nicht aber darf er derlei an die Öffentlichkeit tragen, da das seiner über den Parteien schwebenden Rolle den Wind aus den Segeln nimmt. Der Großherzog ist so unverantwortlich wie ein Kind; an der politischen Verantwortung für sein Handeln haben seine Minister mehr oder minder schwer zu tragen. Sagt die Verfassung.

Nun ist diese überparteiliche Fiktion schneller zerstoben als winterliche Nebelschwaden über Wasserbillig. Und peinlich ist dabei, dass nicht nur Luxemburger Journalisten, sondern auch gewöhnliche Wähler laut rtl-Straßenumfragen überhaupt nicht ahnen, dass sie in der letzten Zeit immer schon in einer parlamentarischen Demokratie gelebt hatten, dass also die Abgeordnetenkammer es ist, wo die Gesetze herkommen. Ja, manchmal konnte man glauben, das wissen auch so manche Abgeordnete nicht, wenn man die Fragen liest, die sie manchmal an ihre Regierung stellen, meist nur um herauszufinden, welche Gesetze sie denn jüngst beschlossen haben bzw. demnächst beschließen sollen. Nun ja, die Abgeordneten sind ja lauter Ehrenamtliche, außer dem Parlamentsdiener sind die Regierungsleute die einzigen Profis auf dem gesundheitsgefährdenden scheußlich roten Teppichboden. Über soviel gut gemeinten Gemeinsinn soll man nicht lästern, sondern sich beschämen lassen.

Ist damit die Meinungsfreiheit des Monarchen in Gefahr? Wie immer in solchen Fällen sollte man sich das Kleingedruckte im Anstellungsvertrag ansehen. Wenn einem Beschäftigten in seinem Job die Meinungsfreiheit beschnitten wird, bleibt ihm die Möglichkeit zu kündigen. Das weiß jeder Journalist bzw. er wird es lernen können. Das Staatsoberhaupt drohte aber mit nichts weniger als einer Arbeitsverweigerung.

Somit bleibt dem Premierminister samt der Abgeordnetenkammer nichts anderes übrig, als den Verfassungstext schnellstens so abzuändern, dass der Großherzog von Aufgaben entbunden wird, die ihm nicht liegen.

Man fragt sich nach diesem unzeitgemäßen Heckmeck allerdings, wem mit alledem gedient war. Mitnichten hat der Großherzog irgendein Recht entzogen bekommen; wenn nicht ein eingebildetes. Die Anhänger der Monarchie verlieren höchstens ein paar anachronistische Illusionen. Ein Vetorecht des Monarchen existiert seit den Revolutionszeiten von 1848 nicht mehr, wie zurecht Alex Bodry (LSAP) betont. Wenn sich der Großherzog in dieser Frage durchgesetzt hätte, könnte Luxemburg sich würdig einreihen in die Reihe solcher Staaten, die darum kämpfen, eine Demokratie zu werden bzw. zu bleiben, wie etwa die gescheiterten Staaten in Osteuropa oder Italien.

Am meisten erschreckt hierbei indessen das Demokratieverständnis in Bevölkerung und der veröffentlichten Meinung. Dass nach 1848 die Verfassung geändert worden ist und das Parlament die Gesetze macht, scheint bei vielen bis heute noch nicht im Bewusstsein angekommen zu sein. Man glaubt sich immer noch bei einer überparteilich scheinenden Vaterfigur gut aufgehoben bzw. hat starkes Bedürfnis danach. Die kommende Krise wird diesen Zug noch verstärken. Immerhin hat ja auch Trier noch seine Hindenburgstraße, und einige sehnen sich dann wohl auch den alten Kaiser Wilhelm wieder zurück.

Es wäre daher wohl besser, anstatt integrationswillige Ausländer auf ihre Gesetzes- und Sprachkenntnisse zu examinieren, den Luxemburger Wähler auf seine Kenntnisse der Luxemburger Verfassung hin zu prüfen und ihn somit auf seine verfassungsmäßige Aufgabe besser vorzubereiten.

Alex Bodry, Une lecture erronée de la Constitution, Tageblatt 4.12.2008
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8 Kommentare:

meffo hat gesagt…

Dass die Kritik am Demokratieverständnis der Luxemburger Presse und mancher Luxemburger Wähler nicht aus der Luft gegriffene allgemeine Publikumsbeschimpfung ist, sondern eine reale Basis hat, lässt sich mit diesem Presseartikel belegen:

An der Verfassungsänderung scheiden sich die Geister,
http://www.wort.lu/wort/web/letzebuerg/artikel/03665/an-der-verfassungsaenderung-scheiden-sich-die-geister.php

Die schönsten Zitate:

Dabei gibt es kaum jemanden, der die Entscheidung des Großherzogs nicht respektiert. Am Montag war bekannt geworden, dass er seine Unterschrift unter dem Gesetz über die Legalisierung der Sterbehilfe aus Gewissensgründen verweigert. "Bravo", applaudiert so mancher Leser. Der Großherzog habe nur von seinen Kompetenzen Gebrauch gemacht, ein zweifelhaftes Gesetz abzulehnen.

Allein deswegen die Verfassung zu ändern, wäre "arrogant und unverschämt", meint ein Seitenbesucher. "Dies würde heißen, sein bisheriges Recht war nur eine Farce, nach dem Motto: solange du machst, was wir sagen, behältst du dieses Recht." "Ist der Großherzog wirklich nur da, um Ja und Amen zu sagen?", fragt Leser Claude Jamil und bezeichnet die geplante Verfassungsänderung als "legislativen Staatsstreich", durch die der Großherzog in seinen ureigensten Zuständigkeit beschnitten werde.

"Der Großherzog hat das Recht, punktuell in die Gesetzgebung einzugreifen. Meiner Meinung nach braucht die Regierung einen Gegenpol, der auch ein wenig Macht hat", schreibt Danielle Voosen.

Wozu braucht also Luxmeburg noch eine Verfassung, wenn es doch d'Wort mit seinen Leserumfragen gibt, deren Resultate so frisiert werden können, dass stest dasselbe herauskommt:
Vox populi = vox Dei (= vox "Recht und Wahrheit", Saint Paul Gruppe)

meffo hat gesagt…

Ein Putsch von rechts?

Diese Frage stellt sich nicht nur Maître Gaston Vogel, sondern auch David Wagner in WOXX, www.woxx.lu:

"De plus, il faut le dire, l'Eglise n'est pas habituée à perdre le contrôle de l'Etat, tout comme elle place la légitimité divine au-dessus de la légitimité des Hommes. Ces gens-là ne sont pas des démocrates.

La prise de position du Grand-Duc est le deuxième coup porté à la proposition de loi, après l'avis du Conseil d'Etat qui l'avait renvoyé en deuxième lecture. Depuis la Libération, aucun texte de loi n'a subi un tel acharnement. Rien ne le prouve formellement, mais tout porte à croire que la droite catholique a décidé d'aller jusqu'au bout, de bander ses muscles et de montrer à la gauche en général et à l'aile modérée du CSV de Jean-Claude Juncker en particulier, que l'Etat c'est encore elle. Et qu'elle était prête à instrumentaliser le monarque et à provoquer une crise institutionnelle pour parvenir à ses fins. Ce qui expliquerait la très mauvaise humeur du premier ministre lors de son briefing mardi soir.

Si tel était le cas, si le Grand-Duc, de concert avec les milieux les plus réactionnaires, avait décidé de briser le tabou de la non-ingérence politique, alors il faut s'inquiéter de la santé de la démocratie du Luxembourg. Dans ce cas, il ne s'agirait pas que d'une prise de position d'un monarque non élu, mais bien d'une manoeuvre politique s'apparentant plus à un putsch législatif qu'à une saine contribution au débat public.

Cette fois-ci, le Grand-Duc a abusé de sa position héritée pour combattre un projet qu'il abhorre et que les trois-quarts de la population soutiennent. Quant au toilettage constitutionnel qu'il propose, il n'est pas satisfaisant : si le Grand-Duc ne sanctionne plus, il continue à promulguer. Et quid s'il refusait, prochainement, de promulguer un autre texte de loi, pour lui faire barrage ?

Personne ne veut interdire à la personne du Grand-Duc de clamer haut et fort, à l'instar de tous les citoyens de ce pays, ses opinions politiques. Mais voilà, il est monarque, détenteur d'une charge publique héréditaire. Pour paraphraser Jean-Pierre Chevènement : un Grand-Duc, ça ferme sa gueule ou ça démissionne."

So lächerlich der Anlass oder so ungelegen der Termin Luxemburger Politikern erscheinen mag:
Die Demokratie ist in Gefahr!

In Deutschland hatte man den Ausspruch "ein Abgrund von Landesverrat" gefunden.
Doch wie so meist, ist die Verfassung eines Staates meist nicht vom Volke aus bedroht, sondern von seinen "Herrschern".
Leider hilft gegen diese Übel kein "Amt für Verfassungsschutz".
Und nicht einmal die viel gerühmte Wächerfunktion der Medien, wenn diese zum Beispiel, wie d'Wort den Anschein erweckt, mit den Putschisten unter einer Decke stecken.

meffo hat gesagt…

"Wenn er nicht unterschreiben will, dann soll ergehen"

Rechtsanwalt Gaston Vogel sagt gerne ungeschminkt seine Meinung, und trifft meist sogar damit den Nagel auf den Kopf.

Maître G. Vogel: E wëll net ënnerschreiwen? Da soll e goen!
http://news.rtl.lu/news/national/2852.html

Auf www.sokrates.lu sind dazu und zu allen Begleitumständen und -erscheinungen jede Menge Blogs zu lesen!

meffo hat gesagt…

Noch eine Umfrage

Das "Tageblatt" lässt schlagartig das Luxemburger Bildungsedizit erkennen:

"Von den Personen mit Primärschulabschluss sind 62 Prozent mit der Haltung des Großherzogs einverstanden, 34 Prozent sind nicht damit einverstanden.
Bei den Befragten mit Hochschulabschluss sind die Werte praktisch exakt umgekehrt: 34 Prozent Zustimmung, 60 Prozent Ablehnung."

37% für Henri, 69% für Sterbehilfe

Eine große Mehrheit der Bevölkerung unterstützt auch weiterhin den Gesetzes vorschlag über Sterbehilfe. Auf wenig Verständnis stößt die ablehnende Haltung des Großherzogs.

6.12.2008 Tageblatt
http://news.tageblatt.lu/news/117/ARTICLE/8816/2008-12-06.html

meffo hat gesagt…

Noch ist Luxemburg nicht verloren...

"Für die CSV ist klar, dass in einer modernen Demokratie ein vom Parlament gestimmtes Gesetz in Kraft treten muss, wenn es mehrheitlich gestimmt ist, und dass der Großherzog als Symbol der Einheit des Landes über der Politik stehen muss.

Die CSV unterstützt voll und ganz die vom Premierminister mit dem Großherzog und den Parlamentsparteien getroffene Lösung, den Buchstaben der Verfassung deren aktueller Praxis anzupassen und somit den Großherzog fortan von seinen legislativen Befugnissen zu entbinden, damit eine institutionelle Krise verhindert und die fast 100 jährige Verfassungspraxis untermauert wird. "

03.12.2008
Buchstaben der Verfassung an Verfassungspraxis anpassen
Das Nationalkomitee der CSV hat sich am Mittwoch, dem 3. Dezember mit der rezenten Diskussion über die Rolle des Großherzogs im Gesetzgebungsverfahren befasst.

http://csv.lu/lb/actualites/4745.html

meffo hat gesagt…

Zur derzeitigen Konjunktur an Inanspruchnahme von "Meinungsfreiheit" und "Gewissenfreiheit" durch hessische Abgeordnete oder andere Politgrößen und sonstige Prominente:

Der Fall Wolfgang Clement

Leider mehr als nur´n Hinter-„Treppenwitz * Zu jW vom 26. November:
»Clement mimt beleidigte Majestät« Clement begründet seinen SPDAustritt
an erster Stelle damit, seine »Wahrnehmung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit
« sei mit der Rüge der Schiedskommission »drangsaliert« worden. Daß
sich ausgerechnet dieser Herr auf die Meinungsfreiheit beruft, ist ein Treppenwitz:
Der Unterzeichner nahm im Juli 2004 sein Recht auf Meinungsfreiheit wahr und
sandte Clement als damaligem Einpeitscher der bevorstehenden Hartz-IV-Gesetze
einen offenen Brief, in welchem der Protest gegen den damaligen »Superminister«
und seine SPD-Politik ausgedrückt wurde. Die Reaktion war nicht etwa eine Antwort.
Vielmehr hatte Clement umgehend das BKA (!) eingeschaltet, das seinerseits
über die Essener Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen den Autor des
Briefes einleitete. Meinungsfreiheit und Clement? Zwei Welten begegnen sich …
Heinz-W. Hammer, Essen“ (junge Welt/jW, 041208: 14)

http://de.share.geocities.com/earchiv21/moz.art1.pdf

meffo hat gesagt…

Luxemburg Zielscheibe fundamentalistischer Angriffe sog. "Christen"

"Léisst dat alles drop schléissen, datt et eng gezielten Kampagne vun fundamentalistesche Chrëschte gëtt, géint d'Position vun der CSV a Saachen Euthanasie a Grand-Duc?"

Den CSV-Parteipresident Francois Biltgen ass rosen op Bréif,
RTL - 10.12.2008, 16:47
http://news.rtl.lu/news/national/3063.html

Modernisierung wird schwer, sobald sich die Mächte der Finsternis einmischen...

meffo hat gesagt…

"So bleibt, anders als vom Staatsrat vorgeschlagen, der Artikel 46 der Verfassung unberührt. Dieser besagt, jedes Gesetz bedürfe der Zustimmung der Abgeordnetenkammer. In Wirklichkeit stimmt die Chamber irgendwelchen Gesetzen, die ihr scheinbar von Geisterhand vorgelegt werden, nicht einfach zu, sondern sie macht sie. So zumindest sollte es im 21. Jahrhundert wohl sein. Und: die Verfassungsreform belässt es bei einer dreimonatigen Frist, in der die Gesetze vom Großherzog unterzeichnet werden müssen. Weshalb diese Frist aus der Postkutschenzeit, wo es doch nur um eine Formalität geht?"

VERFASSUNGSÄNDERUNG
Halbe Sache
Richard Graf
Die eilige Verfassungsänderung macht Schwächen des parlamentarischen Systems deutlich.
woxx | 2008-12-11 | Nr 984
http://www.woxx.lu