Mittwoch, 29. September 2010

Schon wieder eine Seele vom Alkohol gerettetet!





Während Bänker, wie jeder weiß, ihre Boni allgemeinwohl-verträglich in den schönsten Dingen des Lebens anlegen, nur so damit spielen oder als Mäzene verjubeln, so ist das Laster der Volksmassen leider allzu notorisch. Kaum ist das Monatsende erreicht, geht man in die Kneipe, mögen Frau und Kinder zu Hause noch so jammern, das ganze Geld wird versoffen.

Vergeblich stemmen sich besonnene Politiker in Deutschland wie in Luxemburg gegen diese Volksseuche. Nachdem der HartzIV-Regelsatz gar um satte 5€ erhöht werden soll, mussten Tabak und Alkohol aus dem Warenkorb der notwendigen Lebensmittel gestrichen werden. Erstens sind letztere keine Lebensmittel, sondern Genussmittel, und wer genießen will, sollte sehen, wo die Kohle dafür herkommt. Zweitens soll HartzIV ja keine Existenzgrundlage darstellen. Wer sich nicht selbst ernähren kann, ist schließlich von der Natur dazu auserkoren, von hienieden zu scheiden.

Dieser guten altbewährten pietistischen Moral nach Gutsherrenart eingedenk ist auch (oder schon immer) die Luxemburger Krankenkasse, die sich heutzutage "Gesundheitskasse" nennt. Wer so pflichtvergessen ist und auf Kosten seiner Sozialversicherungsbeiträge (und seiner Steuern) krank feiert, der darf die ersten fünf Tage die Wohnung nicht verlassen (es sei denn, er muss zur Kontrolle. Denn Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser, wie schon Lenin wusste.). Verboten ist ebenfalls der Kneipenbesuch. Und außerdem all das, was den Menschen für gewöhnlich fit hält. Denn: Sport ist Mord! So sind eben mal die alt bewährten Zeiten mit ihrer Pastorenmoral à la Malthus.


Waren das doch herrliche Zeiten, als deutsche Arbeiter noch so richtig malochten und feine Leute anständige Pietisten waren!


"Ein frisches, tüchtiges Volksleben, wie es fast überall in Deutschland existiert, ist hier gar nicht zu spüren; auf den ersten Anblick scheint es freilich anders, denn man hört jeden Abend die lustigen Gesellen durch die Straßen ziehen und ihre Lieder singen, aber es sind die gemeinsten Zotenlieder, die je über branntweinentflammte Lippen gekommen sind; nie hört man eins jener Volkslieder, die sonst in ganz Deutschland bekannt sind und auf die wir wohl stolz sein dürfen. Alle Kneipen sind, besonders Sonnabend und Sonntag, überfüllt, und abends um elf Uhr, wenn sie geschlossen werden, entströmen ihnen die Betrunkenen und schlafen ihren Rausch meistens im Chausseegraben aus. Die gemeinsten unter diesen sind die sogenannten Karrenbinder, ein gänzlich demoralisiertes Volk, ohne Obdach und sichern Erwerb, die mit Tagesanbruch aus ihren Schlupfwinkeln, Heuböden, Ställen etc. hervorkriechen, wenn sie nicht auf Düngerhaufen oder den Treppen der Häuser die Nacht überstanden hatten. Durch Beschränkung ihrer früher unbestimmten Zahl ist diesem Wesen von der Obrigkeit jetzt einigermaßen ein Ziel gesetzt worden.

Die Gründe dieses Treibens liegen auf der Hand. Zuvörderst trägt das Fabrikarbeiten sehr viel dazu bei. Das Arbeiten in den niedrigen Räumen, wo die Leute mehr Kohlendampf und Staub einatmen als Stühle in ihren Häusern haben, sitzen vom Morgen bis in die Nacht gebückt dabei und lassen sich vom heißen Ofen das Rückenmark ausdörren. Was von diesen Leuten dem Mystizismus nicht in die Hände gerät, verfällt ins Branntweintrinken. Dieser Mystizismus muß in der frechen und widerwärtigen Gestalt, wie er dort herrscht, notwendig das entgegengesetzte Extrem hervorrufen, und daher kommt es hauptsächlich, daß das Volk dort nur aus »Feinen« (so heißen die Mystiker) und liederlichem Gesindel besteht.

Schon diese Spaltung in zwei feindselige Parteien wäre, abgesehn von der Beschaffenheit derselben, allein imstande, die Entwicklung alles Volksgeistes zu zerstören, und was ist da zu hoffen, wo auch das Verschwinden der einen Partei nichts helfen würde, weil beide gleich schwindsüchtig sind? Die wenigen kräftigen Gestalten, die man dort sieht, sind fast nur Schreiner oder andre Handwerker, die alle aus fremden Gegenden her sind; unter den eingebornen Gerbern sieht man auch kräftige Leute, aber drei Jahre ihres Lebens reichen hin, sie körperlich und geistig zu vernichten; von fünf Menschen sterben drei an der Schwindsucht, und alles das kommt vom Branntweintrinken. Dies aber hätte wahrlich nicht auf eine so furchtbare Weise überhandgenommen, wenn nicht der Betrieb der Fabriken auf eine so unsinnige Weise von den Inhabern gehandhabt würde, und wenn der Mystizismus nicht in der Art bestände, wie er besteht, und wie er immer mehr um sich zu greifen droht. Aber es herrscht ein schreckliches Elend unter den niedern Klassen, besonders den Fabrikarbeitern im Wuppertal; syphilitische und Brustkrankheiten herrschen in einer Ausdehnung, die kaum zu glauben ist; in Elberfeld allein werden von 2500 schulpflichtigen Kindern 1200 dem Unterricht entzogen und wachsen in den
Fabriken auf, bloß damit der Fabrikherr nicht einem Erwachsenen, dessen Stelle sie vertreten, das Doppelte des Lohnes zu geben nötig hat, das er einem Kinde gibt. Die reichen Fabrikanten aber haben ein weites Gewissen, und ein Kind mehr oder weniger verkommen zu lassen, bringt keine Pietistenseele in die Hölle, besonders wenn sie alle Sonntage zweimal in die Kirche geht. Denn das ist ausgemacht, daß unter den Fabrikanten die Pietisten am schlechtesten mit ihren Arbeitern umgehen, ihnen den Lohn auf alle mögliche Weise verringern, unter dem Vorwande, ihnen Gelegenheit zum Trinken zu nehmen, ja bei Predigerwahlen immer die ersten sind, die ihre Leute
bestechen."

Friedrich Engels: Briefe aus dem Wuppertal, 1839. S. 8. Digitale Bibliothek Band 11: Marx/Engels, S. 9736 (vgl. MEW Bd. 1, S. 417f)


Deutschland:
Zu guter Letzt (keine Satire!): Frau von der Leyens Flüssigkeitsbedarfrechnung


Luxemburg:
Was dürfen und was müssen Sie, wenn Sie arbeitsunfähig sind?

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