Dienstag, 2. September 2008

Die Arbeiter

Noch nie hat es in Luxemburg so viele Arbeiter gegeben wie heutzutage; das Gerede von Dienstleistungsgesellschaft, von nivellierter Mittelstandsgesellschaft oder von Wissensgesellschaft hin oder her.

Doch ab 1. Januar 2009 gilt in Luxemburg das „statut unique“. Dann gibt es zumindest sozial- und arbeitsrechtlich nicht mehr „ouvrier“ und „employé privé“, sondern nur noch „salariés“.

 

Mit diesem Begriffswechsel ist ein Mentalitätsänderung verbunden, die auf eine Geschichte von Industrialisierung und Klassenkämpfen zurückverweist, von Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung und politischen Richtungen wie Sozialismus, Kommunismus und Syndikalismus.

1848 veröffentlichte Wilhelm Heinrich Riehl eine Volksrede über „Die Arbeiter“. Vormals ein ganz harmloses, trockenes Wort, sei dieser Ausdruck in neuerer Zeit zu einem Schlachtruf geworden.

Riehl, der 1854 zum "Oberredakteur für Preßangelegenheiten des kgl. Hauses und des Äußeren" in München avancierte, galt schließlich dermaßen als Experte, dass er 1856 vom bayrischen König den Auftrag bekam, alle Anstalten und Maßregeln der deutschen Staaten zur sozialen Reform und Bekämpfung des Proletariats aufzuzeichnen.

Was sei denn nun ein solcher Arbeiter, fragte er sich. Spöttisch vermerkt Riehl die historische Anekdote, dass die Polizei in Paris am. Juni es genau wissen musste. Denn hatte sie doch den Befehl erlassen, dass jeder „Arbeiter“ von 6 bis 12 Uhr vormittags zu Hause bleiben musste, damit die Beamten in einer Von-Haus-zu-Haus-Kontrolle alle registrieren konnten.

Die historische Fährte führte Riehl also nach Paris:
„Arbeiter“ ist deutsch für „ouvrier“.
Wie daher auch das Kleid des echten Arbeiters eine Bluse sei.
Nach dem Vorbild der Pariser Junikämpfe werde dem „Arbeiter“ der „Bürger“ gegenübergestellt.

Nicht die Arbeit schlechthin mache also den Arbeiter zum Arbeiter (dann wären alle anderen folglich Faulenzer!), sondern die besitzlose, unselbständige Arbeit.

„Es wäre also nach all diesen Einschränkungen der besitzlose, sozial fessellose, industrielle und gewerbliche Handarbeiter der Mann, welchen man den Arbeiter nennt.“

„Die Arbeit ist des Arbeiters einziger Besitz.“

Zum Schluss seiner Rede über die Arbeiter entwickelte Riehl, der heute noch als ein Konservativer und gar Begründer der Volkskunde in Deutschland gilt, ein paar ganz drollige Ansichten über den Adel der Arbeit und die Demut, die dem Arbeiter gut zu Gesicht stünde, wenn er sie denn nur hätte. Und über die schlimmen Demagogen, die ein paar unvermeidliche soziale Härtefälle ausnützen würden für ihre politischen Machenschaften. Woraus man wieder einmal ersieht, dass demagogische Argumentationslinien nie völlig altmodisch werden. Man muss sie nur immer wieder neu aufpolieren.

Wilhelm Heinrich Riehl, „Die bürgerliche Gesellschaft“, Stuttgart 1930 (zit. nach „Wegbereiter des deutschen Sozialismus“, hrg. von Dr. Erich Thier, Alfred Kröner Verlag, Stuttgart 1940)
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1 Kommentar:

meffo hat gesagt…

Schichtwechsel

2001 waren 129.102 Arbeiter und Arbeiterinnen der Sozialversicherung gemeldet. 2006 lag der Anteil der ArbeiterInnen an den Erwerbstätigen bei 42,0%.

Wenn Romain Hilgert über „Das Verschwinden der Arbeiter“ (d’Land, 29.08.2008, S. 9) schreibt, dann bezieht sich das nicht auf „Arbeiter“ als eine Kategorie der Beschäftigtenstatistik, sondern soziologisch auf den Rückgang der traditionellen Arbeiterkultur in Luxemburg. Dass diese besondere Mentalität aber noch keineswegs ganz abwesend sei, zeige das Stimmverhalten beim Referendum zur EU-Verfassung.

Und natürlich verschwindet die Bezeichnung „Arbeiter“ durch das Einheitsstatut, das per Gesetz zum 1.1.2009 in Kraft tritt. Immerhin zieht Hilgert es vor, von „Lohnabhängigen“ zu sprechen, obwohl „salarié“ wohl auf „salaire“ zurückgeht und dies eher ein Gehalt bezeichnet.
Aber immer noch besser als „Arbeitnehmer“, wie es die CEPL auf ihrer Sozialwahlbroschüre nicht besser einzudeutschen weiß. Der abhängig Beschäftigte nimmt keine Arbeit, sondern er stellt einem Unternehmer per Arbeitsvertrag seine Arbeitskraft miet- und zeitweise zur Verfügung. Das ist der Fakt; alles andere ein Euphemismus.

Die Frage des Statuts ist die Frage: Was bedeutet ein Statut an Rechten und Pflichten? Wer bekommt welches Statut zugesprochen?

Dass in diesem Bereich immer wieder versucht wird, zu tricksen, zeigen die unterschiedlichen Formen von Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt. Oder die hartnäckigen Auseinandersetzungen der Gewerkschaften, diese Fragen per Kollektivvertrag zu fixieren.

Deutlich wird dies im Bankensektor, wenn abhängig Beschäftigten fälschlicherweise der Status des leitenden Angestellten zugesprochen wird, nur um den verbindlichen Kollektivvertrag zu umgehen. Oder bei den verschiedenen Formen, „Freelancer“-Verträge oder Entsendungsverträge anzudienen, nur um das Arbeits- oder Sozialrecht auszuhebeln.
Die Tendenz des wirtschaftlichen Stärkeren ist immer dieselbe: Man versucht alle Vorteile von möglichen Vertragsformen für seine Seite zu beanspruchen; die entsprechenden Pflichten, Nachteile und Risiken werden der wirtschaftlich Schwächeren Seite aufgebürdet.

Die vereinten Schönredner der EU haben auch dafür schon den passenden Ausdruck gefunden: „flexicurity“.