Donnerstag, 3. März 2011

Das Osterei - eine Naturalabgabe


Nikolaus Kyll unterscheidet in seiner historischen Betrachtung fünferlei:

1. Zins- und Renteneier zum Zinstermin Ostern
2. Taufeier ("Doffeier") als Gebühr an Pfarrer und Küster
3. "Beichteier" als Abgabe für Osterbeichte und -kommunion
4. "Klappereier" als Entgelt für die Klapperjungen
5. die gefärbten Ostereier.

Zumindest in früheren Zeiten mögen Hühner ihrem Biorhythmus gefolgt sein und im Frühling die größte Anzahl Eier produziert haben.

Im Mittelalter wurden dem Grundherrn und der kirchlichen Obrigkeit Sachleistungen gezahlt. Und da der Zahlungstermin häufig auf Ostern festgesetzt war, wurden die gezahlten Eier "Ostereier" genannt. Die Lust auf Eier an Ostern führt Kyll jedoch auf die mittelalterliche Fastenordnung zurück. In der vorausgehenden Fastenzeit war der Eierverzehr tabu.

Im Weistum von Schweppenhausen (Hunsrück) werden 1407 die grundherrlichen Osterzinsen an Eiern und Hühnern explizit "ostereyern oder osterhunre" genannt. Diese ausdrückliche Bezeichnung fehlt in geschichtlichen Dokumenten aus dem Trierer Land, obwohl hier dieselben Gebräuche geherrscht haben. Nur im Weistum von Dalheim (Luxemburg) aus dem Jahre 1472 taucht das "paisch hoin" (Osterhuhn) als Abgabe an die Abtei St. Maximin in Trier als der Grundherrin auf.

Auch die sakramentalen Leistungen, etwa die Taufe oder die Beichte und Kommunion, wurden mehr oder minder förmlich mit einer Leistung belegt, die in Eiern zu zahlen war.

Es zeigt sich, dass das Erbringen von öffentlichen Dienstleistungen schon im Mittelalter Gelegenheit genug bot, sie mit mehr oder minder großen Gebühren zu belegen, die die Empfänger mehr oder minder geschickt einzufordern trachten. Und was man gewohnt ist, das wird zum Brauch, mit reichlich Folklore und romantischen Geschichtchen umrankt - wobei der Zweck der Übung meist in Vergessenheit gerät.

Wenn wir derzeit erleben, wie stark die "administrierten" Preise erhöht werden und sich die öffentliche Hand bei immer mehr Gelegenheiten sich ausstreckt, um Abgaben einzusacken (Selbstbeteiligung, Praxisgebühr, Wasserpreis, ...), so erhält der Begriff der "Refeudalisierung" einen aktuellen praktischen Sinn für den auf solche Weise immer weiter gerupften Bürger und Otto Normalverbraucher.

Nikolaus Kyll: Das Ei im österlichen Gabenbrauch des Trierer Landes. Kurtrierisches Jahrbuch. 1969, S. 70-87.

Das Osterei misshandelt von Enzyklopädikern

Auf wikipedia.de (abgelesen am 5. März 2011, 19.17 MEZ) wird vom Osterei gesagt,

"Für Deutschland werden gefärbte Eier erstmals im frühen 13. Jahrhundert erwähnt."

"Das Färben von Eiern zu Ostern ist eine weitverbreitete christliche Tradition,"

Nun ist es aber so, dass das Färben der Eier nichts mit dem Begriff des Ostereies zu tun hat. Es wurde von den Abgaben als Ostereiern gesprochen, und gewiss kam es niemand in den Sinn, die Naturalabgaben auch noch schön einzufärben. Und natürlich war dieser Brauch christlich, insofern von diesem hübschen "Brauch" (so schön ein Brauch wie das Steuerzahlen) hauptsächlich die Kirche profitiert hatte.

Das Deutsche Rechtswörterbuch (DRW) kennt den Begriff "Osterei" indes schon für die Mitte des 14. Jahrhunderts:

"der lechen sol iechliches weren 20 ostereyer dem propst ze osteren ellü iar
Mitte 14. Jh. Unterwalden/GrW. IV 432 "

Finanzsoziologisch ist interessant, wie geschickt die Gelegenheit des Steuereinziehens in die alltäglichen Gepflogenheiten des Landlebens eingeflochten war, so dass der Brauch auch dann noch teilweise weiterlebte, als er nicht mehr mehr rechtlich sanktioniert wurde oder im Gegenteil gar untersagt worden war (etwa durch das Verbot, sich das Spenden von Sakramenten bezahlen zu lassen).

Was uns hier noch fehlt, ist demnach eine Finanzsoziologie (und Steuerpsychologie) des Ostereis.

Rudolf Goldscheid hatte einstens eine Finanzsoziologie zu begründen gesucht, und sein diesbezüglicher Beitrag wurde unter dem Stichwort "Staat, öffentlicher Haushalt und Gesellschaft. Wesen und Aufgabe der Finanzwissenschaft" im "Handwörterbuch der Finanzwissenschaft", Band 1, Tübingen 1926 veröffentlicht. Sein Text wurde darauf völlig ersetzt durch den Beitrag von Herbert Sultan: "Finanzwissenschaft und Soziologie, "Handwörterbuch der Finanzwissenschaft", Band 1, Tübingen 1952. Auf Goldscheids Beitrag reagierte noch Schumpeter mit seinem Beitrag "Die Krise des Steuerstaats" (zuerst Graz und Leipzig 1918).

wikipedia.de freilich kennt "Finanzsoziologie" nicht als eigene wissenschaftliche Problemstellung. Unter diesem Stichwort wird weitergeleitet auf "Wirtschaftssoziologie", was für jemand, den die eigentümliche Problemstellung Goldscheids und Schumpeters interessiert, sich nicht anders als irreführend erweist. Man darf diese Verkennung der Problematik durch die Gralswächter der wikipedia.de als weiteres Indiz für das in Deutschland herrschende eindimensionale Denken nehmen, das nicht anderes vermag, als alle sozialwissenschaftliche Theorien und Begrifflichkeiten aus der Perspektive der Betriebswirtschaftslehre zu deuten und entsprechend darzustellen.

Rudolf Goldscheid, Joseph Schumpeter: Die Finanzkrise des Steuerstaats. Beiträge zur politischen Ökonomie der Staatsfinanzen. Hrg. Rudolf Hickel, Frankfurt 1. Auflage 1976 (es 698).

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